Unterschied zu anderen Inkontinenz-Formen
Im Gegensatz zu einer Dranginkontinenz tritt bei einer Stressinkontinenz der unfreiwillige Verlust von Urin ohne vorherigen Harndrang auf. Bei der Dranginkontinenz kommt es zu einem plötzlichen, starken Harndrang, der sich nicht zurückhalten lässt, woraufhin unfreiwillig Urin abgeht. Allerdings gibt es auch die Mischinkontinenz, bei der sowohl Drang-Beschwerden als auch Symptome einer Belastungsinkontinenz auftreten. Während sowohl Männer als auch Frauen gleichermassen von einer Dranginkontinenz betroffen sein können, tritt eine Mischinkontinenz vorrangig bei Frauen ab dem 55. Lebensjahr auf.
Weitere Formen wie Reflexinkontinenz (Störung der Nervenimpulse), Überlaufinkontinenz (unvollständige Blasenentleerung) oder Extraurethrale Inkontinenz (Fehlbildung der Harnleiter) unterscheiden sich grundlegend von der Belastungsinkontinenz und treten meist nicht gemeinsam mit dieser auf.
Grad der Belastungsinkontinenz
Die Belastungsinkontinenz wird in verschiedene Schweregrade eingeteilt. Diese gliedern sich wie folgt:
- Grad 1: Urinverlust bei starker Drucksteigerung im Bauchraum (beispielsweise beim Lachen, Pressen, Husten, Niesen, Springen, Heben und Tragen von schweren Gegenständen)
- Grad 2: Urinverlust bei mässiger Drucksteigerung im Bauchraum (beispielsweise beim Aufstehen, Hinsetzen, Gehen, Laufen, Treppensteigen)
- Grad 3: Urinverlust bei sehr schwacher Drucksteigerung im Bauchraum, in Ruhe oder in liegender Position
Eine Stressinkontinenz mit Grad 1 oder 2 gilt als leichtere Form der Inkontinenz und kann mit konservativen Methoden gut behandelt oder sogar vollständig geheilt werden.
Therapie-Möglichkeiten bei einer bestehenden Belastungsinkontinenz
Im Bereich der Belastungs- bzw. Stressinkontinenz existiert ein breites therapeutisches Spektrum, das eine Individualisierung der Therapie ermöglicht. Eine Schwäche der Halte- und Verschlussfunktion des Beckenbodens lässt sich in der Regel gut mit konservativen Methoden behandeln, sodass nach einiger Zeit eine Kontinenz erreicht oder die Inkontinenz weitmöglichst eingedämmt werden kann. Auch die Behandlung anderer Ursachen einer Belastungsinkontinenz ist in den meisten Fällen erfolgreich. Betroffene sollten sich nach eingehender Diagnostik von unseren Spezialisten zu geeigneten Therapieverfahren beraten lassen.
Konservative Methoden: Beckenbodentraining und weitere Massnahmen
Bei leichten Formen der Belastungsinkontinenz (Grad 1 und 2) soll in der ersten Therapiemassnahme zunächst die geschwächte Beckenbodenmuskulatur nachhaltig gestärkt werden. Durch diese konservativen Massnahmen können gute Ergebnisse erzielt oder gar eine Heilung beim Patienten bzw. der Patientin bewirkt werden:
- Gewichtsreduktion: Bei Übergewicht bringt das Verlieren von überflüssigen Pfunden meist eine deutliche Linderung, da der Beckenboden entlastet wird. Zur Reduktion des Übergewichts tragen beispielsweise eine Ernährungsumstellung, mehr regelmässige körperliche Betätigung und Sport bei. Bereits eine Gewichtsabnahme von 5–10 % kann die Zahl der Inkontinenzepisoden um 60 % reduzieren.
- Physiotherapie: Hierzu gehören das Beckenbodentraining (mit Unterstützung durch Biofeedback oder ohne), die Elektrostimulation, Training mit konischen Vaginalgewichten und weitere Therapiekonzepte zur Stärkung der Muskulatur. Mithilfe der Physiotherapie können bei den meisten Patienten Beschwerden gelindert oder eine vollständige Heilung erreicht werden.
- Beckenbodentraining: Werden die Übungen nach professioneller Anleitung regelmässig durchgeführt, kräftigt das Beckenbodentraining die schwache Muskulatur und die Bänder des Halteapparates nachhaltig. Bei Bedarf kann das Training durch konisch geformte Vaginalgewichte unterstützt werden.
- Biofeedback: Meistens wird das Biofeedback unterstützend beim Beckenbodentraining eingesetzt, denn viele Patientinnen können ihren Beckenboden nicht willkürlich aktivieren und müssen dies erst erlernen. Biofeedback ermöglicht, den Beckenboden mithilfe von akustischen und optischen Signalen wahrzunehmen und gezielt zu trainieren.
- Elektrostimulation: Über schmerzfreie elektrische Impulse wird die Beckenbodenmuskulatur aktiviert.
Medikamentöse Behandlung zur Erreichung einer Kontinenz
Kommen konservative Methoden nicht in Betracht oder zeigen diese nicht die gewünschte Wirkung, kann die Behandlung der Belastungsinkontinenz mittels Medikamenten durchgeführt werden. Unsere spezialisierten Ärzte nehmen bei jedem Patienten eine angemessene Auswahl und Dosierung der Wirkstoffe sowie die Beurteilung der Risiken und Grenzen der medikamentösen Behandlung vor, da jeder Fall individuell betrachtet werden muss.
Moderne operative Therapie bei Stressinkontinenz
Bringen die konservativen Therapiemethoden oder eine Behandlung der Stressinkontinenz mit Medikamenten nicht die gewünschte Linderung, kann ein operativer Eingriff erwogen werden. Solch ein Eingriff ist immer der letzte Schritt, falls andere Behandlungsmethoden nicht zum Erfolg führen. Sowohl beim Mann als auch bei der Frau gibt es verschiedene Operationen bei Harninkontinenz, um eine Kontinenz herzustellen oder die Inkontinenz so weit wie möglich einzudämmen.
Belastungsinkontinenz-Operationen für die Frau:
- Harnröhrenunterspritzung: Dieses minimal-invasive Therapieverfahren kann bei einer leichten Form der Stressinkontinenz eingesetzt werden. Hierbei wird ein Kunststoffgel innen in die Harnröhrenwand gespritzt, um die Verschlussfunktion der Harnröhre zu unterstützen.
- Harnröhrenband (TVT): Um ein Absinken der Harnröhre zu verhindern, kann ein spannungsfreies Harnröhrenband (Tension-Free Vaginal Tape, TVT) eingesetzt werden. Das Tension-Free Vaginal Tape besteht aus Kunststoff und unterstützt und stabilisiert das mittlere Drittel der Harnröhre.
- Verschiedene Operationsmethoden bei Senkungen: Modernste Verfahren können Senkungen verhindern oder deren Auswirkungen kompensieren. Ob und welche Behandlungsmethoden im individuellen Fall zum Einsatz kommen, klärt der behandelnde Arzt vorab genau mit der Patientin ab.
Belastungsinkontinenz-Operationen für den Mann:
- Harnröhrenband: Analog der Harnröhrenbänder bei Frauen, werden auch bei Männern bei einer Inkontinenz nach einer Prostata-Operation Harnröhrenbänder zur Behandlung eingesetzt. Das Band wird unter der Harnröhre platziert, wodurch ein Absinken verhindert und der Verschluss verbessert wird.
- Schliessmuskelprotese: Zur Wiederherstellung der Kontinenz nach einer Prostataentfernung gibt es verschiedene Schliessmuskelprotesen (z.B. ProACT, ATOMS, AMS und VICTO/VICTO plus), die mittels Manschette oder kleinen Ballons die Harnröhre einengen und so die Aufgabe des geschwächten Harnröhrenschliessmuskels übernehmen.